Tauschlogik-was?

„Ok, Zwiebeln schneiden, Zehn Euro, Kartoffeln schneiden 3, für das Spielen kriegst du kein Geld Annika, mach mal deine Mathehausaufgaben, dann kriegst du immerhin gute Noten“.
Andrea sitzt an unserem großen Küchentisch, sie ist etwas gestresst, versucht aber die Fassung zu bewahren und die Organisation des Kochens im Griff zu haben. Schließlich wird sie dafür bezahlt. 50 Euro pro Stunde.
Alle andern sitzen um den Tisch, es herrscht kalte Stille. Ich kaue auf meiner Lippe rum und hoffe, dass ich nicht die Zwiebeln schneiden muss. Ich muss immer total heulen, Wie schafft Ingo das nur immer ohne Tränende Augen?
Wir alle bewerben uns um die verschiedenen Tätigkeiten, ich darf zum Glück heute am Herd stehen (13 Euro kriege ich dafür). Dann werden noch Verträge unterschrieben, Versicherungen, falls sich jemand in die Hand schneidet, dabei haben alle schon total Hunger.
Der Zeitplan ist knapp, jeder Arbeitsschritt genauenstens ausgerechnet um möglichst effizient die Suppe fertig zu stellen. Wir fangen endlich an zu arbeiten, es ist immer noch ziemlich still, wir wissen nicht recht über was wir reden sollen und sprechen dann über Hygiene, Verdauung und das Wetter.
Eigentlich koche ich gerne, gerade bin ich aber etwas gestresst, Andrea guckt mir über die Schulter, während ich die Suppe umrühre.
Ingo und Maike streiten sich flüsternd: „Gestern habe ich dich 10 Mal geküsst, das macht 408 Euro“ murmelt Maike wütend „Pah, deine Küsse haben einen viel geringeren Marktwert, die Nachfrage ist doch enorm gesunken, seitdem du so fett geworden bist! Außerdem habe ich dich auch 10 Mal geküsst! Und mein Marktwert ist viel höher!“ Ich versuche wegzuhören, mein Magen knurrt.
Dann endlich kriegen wir unser Geld ausgeteilt, Andrea kriegt am meisten, danach ich, Marie, die geputzt hat kriegt fast nichts, Annika natürlich auch nicht. Dann kaufen wir uns von dem Geld unsere Suppe. Ich bekomme für mein Geld 5 Teller, Marie eine Kartoffel. Sie blickt traurig auf ihren Teller, aber ich will ihr auch nichts abgeben, sie hat schließlich viel weniger geleistet als ich und ich habe ja auch extra diese Ausbildung gemacht, in der ich gelernt habe, wie die Suppe am besten umgerührt wird!
Am Ende wird ein Drittel der Suppe weggeschmissen, weil die mit viel Geld nicht mehr essen können.
Ein bisschen gemein ist das schon, denke ich, vor allem wenn ich am Jürgen denke, der am meisten Geld bekommt, nur weil die Küche sein Eigentum ist. Aber ich sage nichts, es ist schließlich mein Beruf und wie sollte das mit dem Kochen auch anders funktionieren?

"Ausgetauscht? Tauschlogikfrei?
Was spricht gegen gerechten Tausch?
Nichts – solange alle Beteiligten ihrem Bedürfnis entsprechend handeln.
Dafür aber müssen alle Beteiligten frei entscheiden können. Dies ist der Aspekt, den die Wirtschaftswissenschaften vernachlässigen: Frei sind wir nur in einer Gesellschaft, die Menschen nicht ökonomisch zwingt, etwas gegen ihr Bedürfnis zu tun. Genau darauf aber beruht eine Tausch- bzw. Marktgesellschaft. Tausch bzw. Geld legitimiert scheinbar, dass Menschen in die Situation kommen, bei etwas zustimmen zu müssen, das sie nicht gerne tun. Sozusagen Erpressung light: Sie werden ökonomisch gezwungen.
Tauschlogik ist Tausch, der auf einem Tauschwert beruht: Tausch mit Äquivalenzlogik. Meistens in der Form von Geld. Während Geben und Nehmen überhistorische Konstanten sind, ist Tausch eine Transaktion, bei der offiziell gleiche Werte ausgetauscht werden. Dieser Unterschied ist gravierend.
»Wenn einer unserer Vorfahren einem anderen eine Banane anbot und dafür einen Apfel wollte«, erklärt Yanis Varoufakis seiner Tochter, »war das eine Form des Austauschs«. Soweit richtig. Beide hatten dabei die Fähigkeit, ein Stück Obst zu geben, und zumindest einer das Bedürfnis zu tauschen und der andere zumindest nichts dagegen. Das ist nicht die hier kritisierte Tauschlogik. Dann aber bedient Varoufakis den seit anderthalb Jahrhunderten aus anthropologischer Perspektive als falsch belegten Mythos, dies sei ein Tausch gewesen, »bei dem eine Banane den Preis für einen Apfel darstellte und umgekehrt«. Denn dann würden die beiden nur in dem unwahrscheinlichen Fall tauschen, dass sowohl Apfel als auch Banane denselben Tauschwert innehaben. Ansonsten bisse einer von beiden von seiner Frucht erst ein Stück ab – lieber sich den Magen verrenken, als dem Käufer was schenken. Und selbst wenn der mit der Banane so viele davon hätte, dass diese ihm bereits wegfaulen, würde er keine davon abgeben, wenn der andere keinen Apfel bzw. kein Geld zu bieten hat.
Tauschlogik erzeugt also künstlich Knappheit.
Und gibt die Person die Banane trotzdem her, um das Bedürfnis der anderen zu stillen, verlässt sie damit den wirtschaftlichen Sektor, die ökonomische Rationalität. Dass das gesamtgesellschaftlich nicht passiert (und innerhalb der Markt- bzw. Tauschlogik nicht passieren kann) zeigt die Tatsache, dass knapp eine Milliarde Menschen hungert und eine weitere Milliarde unterernährt ist, während auf der anderen Seite so viele Lebensmittel entsorgt werden, dass für ihren Anbau eine Fläche in der anderthalbfachen Größe wie Europa notwendig ist.
Auch andere Produkte sind betroffen. So verbrannte beispielsweise das britische Textil-Label Blurberry 2017 unverkaufte Designermode im (ursprünglich angepeilten) Wert von über 30 Millionen Euro. Und Amazon zerstört beständig Waren aller Art: nagelneue und funktionstüchtige Staubsauger, Wasserkocher, Toaster, Computer, Sodastreamer, Parfüm oder Waschmittel kommen auf einen großen Haufen, dann steckt ein Bagger alle zusammen in eine Presse, wo sie als Müllklumpen wieder herauskommen. Eine Amazon-Mitarbeiterin wird im Magazin Wirtschaftswoche zitiert, sie allein habe täglich Werte von 23.000 Euro vernichtet.
Obwohl also viele Lebensmittel und viel materieller Reichtum existieren, werden diese durch die Tauschlogik künstlich knapp.
Da unsere Vorfahren so doof nicht waren, gilt als anthropologisch gesicherte Tatsache, dass es nie eine Gesellschaft gegeben hat, in der Individuen miteinander nach Tauschlogik getauscht haben, bevor es Geld gab. Sondern wenn es gut lief, nach Bedürfnissen; wenn es schlecht lief, nach Hierarchien – Tauschlogikfreiheit ist keine hinreichende Bedingung für ein gutes Leben. Aber es ist eine notwendige."

So beginnt das aktuellste Buch von Move-Utopia-Mitinitiatorin Friederike Habermann , welches hier gerne weitergelesen werden kann:

Auch ihr Buch Ecommony gibt es tauschlogikfrei :)

Hier noch andere Links zum Thema:
Interview mit Friederike Habermann zu Tauschlogikfreiheit und Digitalisierung
Contraste.org-Schwerpunkt zum Move und dem livingutopia-Netzwerk
Seite und Broschüre mit Texten, in denen auch konkrete tauschlogikfreie Projekte vorgestellt werden

Offener Aufruf für ein treffenderes Wort

Tauschlogikfrei - das ist ein recht langer und sperriger Begriff für etwas, das Menschen schon seit Ewigkeiten einfach tun und auch heute noch unbewusst in vielen Bereichen ganz selbstverständlich praktizieren - ob beim Suppekochen für Freunde, beim mehr oder weniger erwartungslosen Austausch innerhalb der eigenen Familie oder sozialen Bezugsgruppen oder sogar wildfremden Menschen gegenüber z.b. in öffentlichen Parks oder auf Festivals, in denen ganz selbstverständlich vorhandene Ressourcen geteilt werden (..wenn auch oft vor allem auf Basis von Sympathie und nicht nur auf Basis von Bedürfnissen).
Auch in Friederike Habermanns Buch wird betont, dass das Wort tauschlogikfrei kein fest definierter Begriff bleiben soll, sie ist sogar eher überrascht, dass sich gerade dieses Wort bis jetzt etabliert hat.
Der darin enthaltene Wortteil "tausch" führt jedoch immer wieder zu Missverständnissen - nach dem Motto "..warum soll unser öffentliches Tauschregal plötzlich schlecht sein?".
Da wie in der Einleitung oben beschrieben ja aber gerade nicht der AUStausch kritisiert wird, sondern das Gegenrechnen ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der einzelnen Menschen, wollen wir dazu aufrufen, gemeinsam Ideen für Wörter zu sammeln, die treffender beschreiben, worum es eigentlich geht - in das folgende Pad (eine offene Datei, die gleichzeitig und ohne Anmeldung von vielen bearbeitet werden kann) könnt ihr gerne alles hineinschreiben, was Euch an Wörtern einfällt!

Wortwolke

„Wer hat Lust die Zwiebeln zu schneiden?“ fragt Andrea und legt Zwiebeln, Messer und Brettchen auf den Tisch. Währenddessen liegt Annika unterm Tisch und spielt, sie wäre gefangen in einer Höhle und müsste sich von stinkenden Hausschuhen ernähren. Ich wasche die Teller ab, die noch von gestern stehen geblieben sind, weil wir alle nach dem Spieleabend zu müde waren zum abwaschen. Marie schneidet die Kartoffeln, Timm macht einen Obstsalat und Ingo und Maike kommen von ihrem Spaziergang wieder und bringen einen Strauss Blumen mit. Während Marie die Kartoffeln schneidet, erzählt sie uns von ihrer neuen Liebe und bekommt dabei ganz rote Wangen. In der Küche fängt es an zu duften, Ingo fängt an Gitarre zu spielen. Dann sitzen wir alle vor gefüllten Tellern an dem großen Tisch und löffeln die leckere Kartoffelsuppe in uns hinein, bis wir kugelrunde Bäuche haben.


Beide Suppentexte tauschlogikfrei geschrieben von Luisa